Der moderne Geschäftsbrief

Statistiker haben ermittelt, daß je nach Branche die Papierflut, also die Menge der schriftlichen Mitteilungen, um 7 % bis 14 % jährlich steigt. Nicht mehr die Beschaffung von Informationen, sondern deren Bewältigung wird zum Problem. Was ist zu tun? Schneller lesen?

Schnelles Lesen ist sicher von Vorteil. Aber dürfen wir wirklich die Lösung des Problems auf den Empfänger abwälzen? Die Alternative heißt ganz einfach: kürzer schreiben.

Kürzer schreiben, weil unsere Zeit kostbar ist: beim Absender die Diktier- und Schreibzeit, beim Empfänger die Lesezeit. Es genügt eigentlich, wenn wir Überflüssiges weglassen, sei es durch Änderung im äußeren Bild des Briefes, sei es durch einen rationelleren Briefstil. In einem Aphorismus sagt Gabriel Laub: "Das wirklich Mitteilenswerte lässt sich in zwei Zeilen sagen. Der Rest besteht aus Erklärungen des unklar Formulierten."

Wir brauchen also einen neuen Mitteilungsstil, der kurz, knapp und präzise ist, der das Entbehrliche weg lässt und das Notwendige optimal mitteilt. Das bedeutet aber, daß wir den Mut haben müssen, unkonventionell zu schreiben. Eine beliebte Entschuldigung für den üblichen Geschäftsstil ist seine angebliche Höflichkeit. Dann brauchen wir eben eine neue Höflichkeit. Keine unterwürfigen Phrasen mehr, sondern eine Höflichkeit der Kürze: die Achtung vor der Zeit des Anderen.

Kürzer schreiben heißt präziser denken.

Das ist der Kern des neuen Stils. Die Hauptarbeit liegt vor dem Schreiben. Hierzu ein Beispiel:

(In der Bezugszeichenzeile:)

Ihre Nachricht vom: 21. August xx

Betr.: Ihre Anfrage vom 21. August xx

Sehr geehrte Herren!

Ihre Anfrage vom 21. August xx haben wir dankend erhalten. Wie Sie uns darin mitteilen, möchten Sie.....

Welche Gedankenlosigkeiten fallen uns dabei auf?

  1. Das Datum des Partnerbriefes ist dreimal erwähnt. Es gehört nur entwe­der in die Bezugszeichenzeile oder in die Betreffzeile, aber nicht noch einmal in den Briefanfang.

  2. Wir teilen unserem Partner mit, daß wir seinen Brief erhalten haben. Würden wir denn den Brief beantworten, wenn wir ihn nicht zuvor erhalten hätten? Diese Bestätigung ist also überflüssig.

  3. Wir wiederholen in der Briefeinleitung, was uns unser Partner geschrieben hat. Das bedeutet im Klartext: "Lieber Geschäftsfreund, Sie haben keine Ahnung, wonach Sie angefragt haben und finden auch in Ihrer Ablage Ihre Briefkopie nicht mehr, so daß ich Ihnen zunächst einmal sagen muss, weshalb Sie uns geschrieben haben." Das wenigste, was wir von dieser Unterstellung sagen können, ist, daß sie unhöflich ist.

  4. Und was halten Sie von der Anrede? Die gibt es tatsächlich immer noch!

  5. Ja, und dann noch die äußere Form dieses Briefanfangs. Das Wort „Betr.:“, abgekürzt oder ausgeschrieben, gibt es ebenso wenig mehr wie das Ausrufezeichen hinter der Anrede oder den Punkt hinter den freundlichen Grüßen. Man findet sie trotzdem noch.

Dieses eine Beispiel, das weder übertrieben noch frei erfunden ist, zeigt uns, wie wir mit einiger Überlegung Anschläge (und damit Zeit auf beiden Seiten) sparen können. Wir sehen aber auch, wie leicht es ist, beim Geschäftspartner ins Fettnäpfchen zu treten.

Daraus ergeben sich zwei Forderungen:

Präzisiere Deine Gedanken

das bedeutet:

Denkdisziplin geht vor Schreibroutine, deshalb:
Denken Sie mehr!
Die Phrasen des "Geschäftsstils" machen das Denken überflüssig. Sie vermitteln zwar wenig Information, füllen aber mühelos die Seiten. („Unter höfl. Bezugnahme auf Ihren gestern erhaltenen Brief erlauben wir uns, Ihnen mitzuteilen, daß ….“) Die Mühe liegt aber im Denken, nicht im Schreiben.

Schreiben heißt Gedanken festlegen, deshalb:
Denken Sie vorher!
Es kommt auf den Gedanken an. Ein schlechter Stil kann wohl die Wirkung eines Gedankens beeinträchtigen, aber auch der eleganteste Stil kann keinen klaren Gedanken ersetzen. Der neue Mitteilungsstil verlangt also mehr Vorbereitungszeit.

Die Mitteilung muss den Empfänger auch ansprechen, deshalb:
Denken Sie an den Empfänger!
Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Der Empfänger hat wahrscheinlich andere Interessen als wir. Ihn interes­siert vermutlich weniger, warum wir nicht liefern können, sondern wann er seine Ware bekommt. Deshalb müssen wir uns auf seinen Standpunkt stellen und uns fragen: "Was soll der Empfänger lesen?" Dann wissen wir auch eher, was wir schreiben sollen. Setzen Sie sich doch in Gedanken einfach einmal auf den Stuhl des Briefempfängers. Es ist das gleiche Problem wie bei den Urlaubspostkarten. Nicht: „Was soll ich denn jetzt der Tante Elli schreiben?“ sondern: „Was würde sie denn gern von mir hören?“

Mitteilungen haben einen Zweck, deshalb:
Denken Sie an das Ziel!
Grundsätzliche Frage: was will ich erreichen? Will ich ein Angebot schreiben oder Auftrag erhalten? Will ich einen säumigen Kunden mahnen oder endlich zu meinem Geld kommen? Mein Brief soll den Empfänger motivieren, das zu tun, was ich von ihm erwarte.

Keine wichtige Information darf fehlen, deshalb:
Denken Sie an das Notwendige!
Welche Informationen sind notwendig, mein Ziel zu erreichen? Nur diese Informationen gehören in den Brief, aber alle. Für "schmückendes Bei­werk" hat der moderne Mitteilungsstil keinen Platz.

Das Interesse des Empfängers berücksichtigen, deshalb:
Denken Sie an die Reihenfolge!
Die für den Empfänger wichtigste Information gehört an den Anfang. Wenn ein Kunde nach einer Ware fragt, die wir nicht mehr liefern können, interessiert ihn sehr wenig, daß es uns leid tut und noch viel weniger interessiert ihn unser Kompliment über seinen guten Geschmack. Wir brauchen ihn nicht mit einer seitenlangen Einleitung schonend auf unsere Absage vorzubereiten.

Fasse Dich kurz

das bedeutet:

Verwenden Sie einfache Wörter, denn einfache Wörter sind kürzer! Sagen Sie nicht: Eine Ware zur Auslieferung bringen oder eine Belieferung vornehmen - sondern: liefern. Nicht: einen Betrag in Abzug bringen - sondern: abziehen.

Nicht: unter Zuhilfenahme von - sondern: mit.

Nicht: mit Ausnahme von - sondern: außer.

Nicht: Zahlungsleistung - sondern: Zahlung

Nicht: Mühewaltung - sondern: Mühe.

Machen Sie wenige Worte, denn Floskeln und Phrasen sind überholt! Verzichten Sie auf jedes unnütze Wort, das nichts Wesentliches aussagt. Es ist nur Ballast, kostet Zeit und mindert die Wirkung. Schreiben Sie direkt und entrümpeln Sie Ihren Stil von unnötigem Schwulst. "Entschuldigen Sie die (aufgetretene) Störung ...." Eine Störung, die nicht aufgetreten ist, ist doch keine!

Bilden Sie kurze Sätze. Beachten Sie: die Hauptsache gehört in den Hauptsatz! Es gibt Formulierungen, die nichts aussagen, aber den Hauptsatz für sich beanspruchen, Beispiele:

Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß...

Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, daß....

Wir neigen zu der Überzeugung, daß....

Zu unserem Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, daß....

Gern haben wir ersehen, daß....

Diese Aufzählung lässt sich durch Kombination der verschiedenen Teile beliebig verlängern. Wichtig ist, daß man das Schema dieser "Vorreiterei" durchschaut. Wenn wir unserem Korrespondenzpartner etwas mitteilen, brauchen wir ihm nicht mitzuteilen, daß wir ihm etwas mitteilen: er merkt es doch von selbst.

Benutzen Sie aktive Verben. Verbaler Stil ist knapper und präziser! Das Aktiv ist persönlich und deutlich: wer tut was? Das Passiv dagegen riecht nach Amtsdeutsch: es wird angeordnet. Der Satz: "Wir benötigen die Maschine dringend." ist klarer und eindring­licher als "Die Maschine wird von uns dringend benötigt."

Schreiben Sie einen persönlichen Stil. Der Sie-Stil ist kurz und spricht an! Warum schreiben wir eigentlich nicht so wie wir sprechen? Am Telefon sagt niemand: "Der Anrufende möchte Ihnen mitteilen ....." Aber wir können oft genug lesen: "Der Unterzeichnende dieses Briefes ...." Warum nicht in vielen Fällen persönlich und in der Ich-Form schreiben? "Endesunterzeichnender bittet höflich um Entschuldigung." Warum nicht einfach und klar: "Ich bitte um Entschuldigung." Oder, noch besser: "Entschuldigen Sie bitte." Sprechen Sie Ihren Partner persönlich an, dann fühlt er sich auch angesprochen. Der Sie-Stil ist kürzer und wirkungsvoller. Schreiben Sie deshalb eher. "Sie erhalten 3 % Skonto." statt: "Wir gewähren Ihnen 3 % Skonto." Der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen ist nicht nur eine Äußerlichkeit.

"Fasse Dich kurz" setzt also auch eine Änderung der Denkweise voraus. Es ist keine Sache des Rotstifts, und es nicht damit getan, daß man dem alten Geschäftsstil "die Verzierungen abbricht" um einen neuen Stil zu haben. "Wenn man von einem Misthaufen ein paar Gabeln voll wegnimmt, ist der Rest immer noch Mist", oder "Getretener Quark wird breit, nicht stark", wusste schon Altmeister Goethe.

Übrigens: Die zehn Gebote Gottes enthalten 279 Wörter, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300 Wörter, die Verordnung der Europäischen Union über den Import von Karamellbonbons aber exakt 25.911 Wörter. Die Zehn Gebote sind wahrscheinlich deshalb so knapp formuliert, weil sie ohne Mitarbeit einer Expertenkommission zustande kamen.

Eine verbreitete Unsitte, einen Text aufzublähen, sind die Streckkonstruktionen. Das System ist einfach. Ein aussagekräftiges Tätigkeitswort wird durch eine Konstruktion ersetzt, die aus einem informationsschwachen Tätigkeitswort und einem schwerfälligen Hauptwort besteht.

Das Wort "liefern" erscheint zu einfach. Es macht nicht viel her. Es wird verwandelt. Aus "liefern" wird die "Lieferung". Das Spiel gefällt einem und man findet, daß sich die "Lieferung" noch zu einer "Auslieferung" aufwerten lässt. Und nun muss für das verstoßene "liefern" ein Ersatz herbeigeschafft werden. Allerdings ein Ersatz, der den Sinn von "liefern" nicht mehr auszudrücken braucht und gar nicht mehr ausdrücken darf, weil der ja schon in der "Auslieferung" enthalten ist. Was kann man mit einer "Auslieferung" anfangen? Man kann sie durchführen.

Nun können wir aber auch das Verb "durchführen" in eine Verbalsubstantiv verwandeln: die "Durchführung". Statt etwas durchzuführen, z.B. die Auslieferung einer Ware, kann man es zur Durchführung bringen und damit ist das Kunstwerk vollendet: Die Auslieferung der Ware wird zur Durchführung gebracht.

Sagen wir damit aber mehr aus? Wohl kaum. Wir sagen es nur umständlicher. Den Satz "Die Ware wird geliefert" schreiben wir mit 25 Anschlägen, während wir für "Die Auslieferung der Ware wird zur Durchführung gebracht" 60 Anschläge brauchen. Ist der Mehraufwand an Anschlägen und damit an Schreib- und Lesezeit sowohl beim Absender als auch beim Empfänger des Briefes und die damit auf beiden Seiten entstehenden Kosten gerechtfertigt?

Wir können die Blähsucht auch noch weitertreiben, indem wir schreiben: "Der guten Ordnung halber möchten wir Ihnen noch mitteilen, daß die Auslieferung der Ware heute zur Durchführung gebracht wird."

Die Folge der Hauptwörterei ist nicht nur ein schwerfälliger Briefstil, sondern auch eine Verarmung unserer Sprache. Nachdem wir unsere aussagestarken Verben in Substantive umgewandelt haben, bleiben uns nur noch wenige Ersatzverben, nämlich acht: bringen, kommen, vornehmen, durchführen, gelangen, nehmen, erfolgen, geschehen. Diese acht Verben sind nahezu überall einsetzbar und damit sinkt ihr Aussagewert auf fast null.

Eine alte chinesische Spruchweisheit sagt sinngemäß: "Wer zwanzig Worte gebraucht, wo zehn ausreichen, ist auch zu anderen Untaten fähig."

Die vielfältigen Diskussionen um das Wort "anliegend" machen uns deutlich, welchen Kummer die Partizipien (Mittelwort der Gegenwart und der Vergangenheit) bereiten können. Die Schwierigkeit steckt nicht in der Bildung der Partizipialform, denn die ist sehr einfach. Sie steckt vielmehr im Bezug zwischen Partizip und Subjekt. "Er ging lachend hinaus". Wer lacht da? Natürlich er. "Ich übersende Ihnen anliegend die neue Preisliste." Wer liegt da an? Natürlich ... die Preisliste? Oder ich? Hier können uns nur der gesunde Menschenverstand und der gute Wille helfen, die Preisliste zu meinen. Vom Standpunkt der Grammatik her gesehen, liegt nämlich nicht die Preisliste an, sondern der Schreiber. Das Mittelwort gilt für den Satzgegenstand!

Weitere falsche Beispiele: "Nachstehend übersenden wir Ihnen ...." "Rauchend zog er sein Schwert zurück". "Angefüllt mit Abfall, reichte ich meinem Vater den Eimer hinunter".

Das Mittelwort verfährt zu Doppelausdrücken:

Das Mittelwort lässt sich nicht steigern:

Ein weiterer Fehler, der sich leicht in der Korrespondenz einschleicht, wenn man des Guten zu viel tun will, ist die Tautologie, der doppelte Ausdruck. Als "runder Kreis" oder als "weißer Schimmel" lässt sich die Tautologie sofort erkennen. Aber: "Zu unserem Bedauern müssten wir leider feststellen .....", "Die Wiederholung weiterer Zwischenfälle muss vermieden werden." "Es scheint, daß er vielleicht Recht behält." Auch der „Endverbraucher“ und die "Außenfassade" gehören hier hin.

Manche Korrespondenten halten es für elegant, Ausdrücke der "Kanzleisprache" in ihre Briefe einfließen zu lassen. "In Anbetracht der langen Lieferzeiten haben wir von einer Auftragserteilung Abstand genommen." "Sie haben uns eine Stellungnahme Ihrerseits bisher noch nicht zukommen lassen." "In der Anlage überreichen wir Ihnen unsere diesbezüglichen Nachträge."

Diese wenigen Beispiele haben sicher genügend deutlich gezeigt, worauf es bei dem modernen Briefstil ankommt: Das früher einmal Gelernte entrümpeln, die Aussage des Briefes auf das Notwendige beschränken.

Man kann seine Korrespondenz mit folgenden Fragen selber prüfen:

Denken wir daran: Ein schlechter Brief ist wie eine falsche Banknote. Er bringt Misskredit. Ein guter Brief kann über sein Tagesziel hinaus ein Werbefaktor ersten Ranges sein. Ein Brief ist ein hochempfindliches Instru­ment, das man nicht ungestraft nachlässig handhabt. Jeder Brief wirbt. Entweder für Sie oder gegen Sie.